Samstag, 2. September 2017

Frankensteins Zoo – Insekten-Cyborgs für Katastrophenschutz und Schlachtfeld

17.03.2017 – 

Ferngesteuerte Tiere mit Cyborg-Sinnesorganen bevölkern die Labore. Sie sollen zu lebendigen Robotern werden und Arbeiten erledigen, für die heutige Maschinen zu dumm sind.

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 20.3.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Solch eine Ratte existierte nicht – bis Miguel Nicolelis sie konstruierte. 2015 gaben er und sein Team von der Duke University in North Carolina dem Tier die

Fähigkeit, Infrarotlicht wahrzunehmen: Die Forscher hatten dem Nager drei Stimulationselektroden in den somatosensorischen Kortex implantiert, jenen Teil der Hirnrinde, der Berührungen verarbeitet. Jede Elektrode war an einen Infrarotsensor auf dem Kopf der Ratte gekoppelt. Gemeinsam deckten die drei Sensoren alle Richtungen ab. Wie von einem dritten Auge, das Infrarotlicht einfängt, erhielt das Gehirn der Ratte völlig neue Sinnesdaten. Würde sie die Inputs nutzen können?

Im „Journal of Neuroscience“ berichteten die Wissenschaftler, dass die Cyborg-Ratte nach nur vier Tagen Training tatsächlich begann, Infrarotlampen in ihrem Käfig zu erkennen. Mit deren Hilfe entdeckte sie versteckte Leckerlis. Ihr Gehirn hatte offensichtlich gelernt, die neuen Sinnesdaten zu interpretieren. Dass diese Fähigkeit des Rattenhirns nicht auf den Berührungskortex beschränkt ist, bewies eine zweite Ratte. Ihr hatte Nicolelis᾽ Team die Elektroden in den Sehkortex eingepflanzt. Auch sie lernte Infrarot-Inputs zu nutzen – sogar innerhalb eines Tages und scheinbar ohne Einschränkung ihrer Sehfähigkeit.
 Oscar – Der lebende Modulkörper – 

Für die Wissenschaft wirft diese Forschung ein neues Licht auf die Arbeitsweise des Nervensystems. Aber dahinter steckt weit mehr: Heutige Roboter sind trotz aller Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz nach wie vor schwerfällig und unflexibel. Ließe sich jedoch ein Zwitter aus Roboter und Tier erschaffen, könnte das Wesen erledigen, was heute weder Roboter noch Tier allein gelingt. Die Biobots könnten radioaktiv verseuchte Gebäude erkunden, von Erdbeben verschüttete Menschen suchen oder in Anti-Terror-Einsätzen die Wohnungen mutmaßlicher Täter ausspionieren.

Für Menschen existieren bereits Hirn-Computer-Schnittstellen, die erstaunlich gut funktionieren. Vorigen Februar etwa gelang es Ärzten der Johns Hopkins University im amerikanischen Baltimore, über ein Implantat mit 128 Elektroden Signale aus dem motorischen Kortex eines Patienten so genau auszulesen, dass er damit die Finger eines Roboterarms einzeln steuern konnte. Der Schritt, mit solchen Technologien Biobots zu konstruieren, scheint nicht allzu groß. Die neuen Wesen wären die Quintessenz des Nutztiers – samt aller ethischen Bedenken, die damit einhergehen.

Wie die Forschung von Nicolelis zeigt, kann man ein Gehirn mit neuartigen Sinnesdaten gleichsam upgraden. Aber kann man Lebewesen über eine Hirn-Computer-Schnittstelle auch gezielt steuern? Das erste ferngesteuerte Insekt – eine Küchenschabe – lief vor 20 Jahren über den Labortisch von Isao Shimoyama an der Universität Tokio. Er hatte je eine Elektrode an die Nervenbahnen der rechten und linken Antenne der Schabe angeschlossen. Wenn er eine der Elektroden stimulierte, war das für seine Schaben das Signal, gegen ein Hindernis gestoßen zu sein. Entsprechend wechselten sie die Richtung.

Seitdem haben Forscher Motten, Käfer, Mäuse, Ratten und sogar Dornhaie mit einer Fernsteuerung ausgestattet. Weltweit Furore machten im Jahr 2002 etwa die „ferngesteuerten“ Ratten eines Teams um John Chapin von der State University of New York. Wie im Journal „Nature“ berichtet, waren mehrere Elektroden in den Teil des Rattenkortex eingepflanzt, der Inputs von den Barthaaren der Tiere verarbeitet. Die Ratten nutzen sie ähnlich wie Schaben ihre Antennen. Die Forscher konnten nun gleichsam die Barthaare der Ratte stimulieren, nur eben direkt im Gehirn. Zusätzlich hatten Chapins Mitarbeiter der Ratte noch eine dritte Elektrode implantiert – ins Belohnungszentrum. So konnten sie den Nager für eine gewünschte Richtungsänderung belohnen. Nach nur zehn Trainingssessions konnten sie das Tier mit Elektrodensteuerung durch einen Hindernisparcours mit Leitern, Röhren und kleinen Toren lenken.

(Christian Honey) / (inwu)

Insekten-Cyborgs für Katastrophenschutz und Schlachtfeld

11.07.2009 19:02 Uhr –Peter König

Wozu viel Mühe auf die Entwicklung winziger Roboter verschwenden, wenn die Natur bereits Abermillionen der dafür benötigten Chassis in Form von Insekten produziert? Falls ein vom Pentagon finanziertes Vorhaben der US-amerikanischen Firma OptCoast in die Tat umgesetzt werden kann, werden möglicherweise bald Schwärme von Cyborg-Grillen, technisch hochgerüsteten Heuschrecken oder Zikaden auf Schlachtfeldern nach chemischen Kampfstoffen schnüffeln, sich in den Ruinen eingestürzter Häuser auf die Suche nach dem Körpergeruch verschütteter Menschen machen oder – im zivilen Alltag – nach Umweltgiften oder Gaslecks fahnden. Das berichtet das Wissenschaftsmagazin New Scientist in seiner heute erschienenen Ausgabe 2716.

 

Grillen kommunizieren untereinander durch ihr Zirpen, das sie durch Flügelschläge erzeugen. In die dazu bewegten Muskeln wollen die Forscher Elektroden implantieren, mit deren Hilfe sie die Muskelspannung manipulieren und darüber die Laute der Grillen modulieren können, sobald sich bestimmte Chemikalien in der Umgebung des Tieres befinden. Diese wiederum soll ein biochemisch sensibler Sensor aufspüren, der ebenso zum elektronischen Rucksack der Cyborg-Grille gehören soll wie ein Mikrofon. Denn die High-Tech-Insekten werden nicht als Einzelkämpfer operieren, sondern im Schwarm, so der Plan. Empfängt eine Grille manipulierte Töne einer ihrer Kolleginnen, lässt die Elektronik sie dieses Signal reproduzieren. Auf diese Weise, so hoffen die Entwickler, könnten sich Alarmnachrichten schnell durch das gesamte „living network“ fortpflanzen und schließlich eine Basisstation erreichen.

Die Idee, Insekten mit elektronischen Implantaten zu modifizieren statt Miniaturroboter selbst zu bauen, ist zwar schon über zehn Jahre alt, hat derzeit aber wieder schwer Konjunktur: So suchte die DARPA, die Forschungsbehörde des US-Militärs, im Jahr 2006 gezielt nach Projekten für die Entwicklung von Cyborg-Insekten. Anfang des Jahres führten Wissenschaftler an der University of California in Berkeley einen Riesenkäfer mit implantierten Elektroden und Funkempfänger vor, der sich im Flug mit einfachen Impulsen steuern lässt. Für die geplante Cyborgisierung von Grillen und Zikaden müsste die Elektronik allerdings deutlich kleiner ausfallen. (pek)

Bioerror, kein Bioterror

22. Dezember 2016  

Ein Forschungsprogramm soll Lösungen bereitstellen für den Fall, dass ein gene drive aus dem Ruder läuft

In den nächsten vier Jahren soll im Rahmen eines neuen DARPA-Programms unter anderem Know-how geschaffen werden, das Fortschritte in der Genomeditierung beflügeln und gleichzeitig potentielle Risiken minimieren soll.

Das Safe-Genes-Programm der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) kommt zu einer Zeit, da Wissenschaftler mittels so genanntem „gene drive“ (Eingriff in das Erbgut frei lebender Organismen) an einer beschleunigten Verbreitung neuer oder manipulierter Gene in Populationen von Lebewesen arbeiten, um diese in eine gewünschte Richtung zu verändern.

Die alten Regeln der genetischen Vererbung und natürlichen Auslese werden damit gleichsam überschrieben und so Hoffnungen geweckt, dass diese Technologie eines Tages imstande sein könnte, Populationen von Krankheiten übertragenden Insekten oder anderen Schädlingen im Laufe von nur 20 Generationen zu verändern oder zu unterdrücken. Außerdem könnte man sich damit invasiver Arten entledigen oder das Erbgut gefährdeter Arten „aufbessern“. Der Fantasie der Forscher sind dabei keine Grenzen gesetzt, die Ideen reichen weiter, von der Humangenom-Editierung bis hin zur Erschaffung von Mikroschweinen, für die es offenbar eine Nachfrage im Haustierhandel gibt.

Doch noch scheinen praktikable Anwendungen Jahre entfernt. Und noch existieren neben den eigentlichen wissenschaftlichen Problemen einige Unwägbarkeiten – zum Beispiel in Fragen der Sicherheit der neuen Technologien sowie hinsichtlich der Konsequenzen für eine der neuen Situation angepassten Gesetzgebung.
Russisches Roulette mit der Erde Nanotech, Geo Engineering und andere Risikotechniken 

Die DNA-Schneide-Technologie namens CRISPR-Cas9 hat in wenigen Jahren die Fähigkeit von Wissenschaftlern revolutioniert, in Organismen maßgeschneiderte Änderungen am Erbmaterial vorzunehmen. Dieser Gen-Editor ist preiswert und relativ einfach zu verwenden. Über ihn rückt der gene drive in die Reichweite der Anwendung an verschiedensten Organismen.

Genetische Änderungen, die in nur wenige Mitglieder einer Population eingefügt werden, breiten sich schnell in ihrer Gesamtheit aus. Sind Fortpflanzung oder Überlebensfähigkeit davon in irgendeiner Art und Weise betroffen, kann dies zum Auslöschen der Population führen. Andere Anwendungen zielen auf die Verbreitung gewünschter Merkmale in einer Population. Zurzeit werden Lebewesen mit kurzen Generationswechseln als Zielorganismen bevorzugt – bei Wirbeltieren würde eine weite Ausbreitung gewünschter neuer genetischer Merkmale schlicht zu lange dauern.

Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sieht so viel Potential im gen drive, dass die Ausgaben für ihre Target-Malaria-Initiative auf 75 Millionen US-Dollar mehr als verdoppelt werden sollen. Doch ohne sorgfältige Vorsichtsmaßnahmen könnte sich ein in Umlauf gebrachter gene drive auf unerwartete Weise ändern oder verbreiten.

Gottloses Herummeißeln an der Kathedrale der Evolution?

Kevin Esvelt, Leiter des Sculpting Evolution Labors des MIT Media Lab, das sich in Zusammenarbeit mit acht weiteren Forschungsgruppen für eine Finanzierung durch das Safe-Genes-Programm bewirbt, hält einen Unfall binnen 15 Jahren für möglich, bei dem ein gene drive mit Potential zur globalen Verbreitung aus dem Labor entweicht: „Das wird kein Bioterror, das wird ein Bioerror sein.“

Die DARPA selbst war in den letzten Jahren einer der größten öffentlichen Förderer der Forschung zur synthetischen Biologie in den USA, mit Ausgaben von mehr als 100 Millionen US-Dollar allein 2014, bei noch gar keiner Förderung im Jahre 2010. Ziel der synthetischen Biologie: die Erzeugung biologischer Systeme, die in der Natur nicht vorkommen. Die Agentur hat im September 2016 ihr Safe-Genes-Programm angekündigt und plant, mehrere Forscherteams ab 2017 darüber zu finanzieren. „Wenn wir uns als draufgängerische Gen-Ingenieure betätigen, müssen wir genauso aggressiv bei Werkzeugen sein, die diese Änderungen rückgängig machen“, findet DARPA-Programm-Managerin Renee Wegrzyn.

Wegrzyns Team prüft derzeit Vorschläge von Forschern außerhalb der DARPA, die „radikal verschiedene“ Ansätze entwickeln, um unerwünschte genetische Veränderungen und deren Auswirkungen zu entfernen, zu ersetzen oder zu hemmen, unabhängig davon, ob der Auslöser auf einem Gene-drive-Mechanismus oder einer anderen Art von Gen-Editierung basiert.

Die Suche nach Möglichkeiten, gentechnisch veränderte Gene aus einer Vielzahl von Arten und Lebensräumen zu eliminieren, ist nur einer von drei Schwerpunkten im neuen Programm der DARPA. Ein zweiter Bereich soll als Ergebnis Systeme zur Steuerung und Umkehr von Genbearbeitungswerkzeugen wie CRISPR-Cas9 liefern. Dies könnte zum Beispiel der Entwurf eines Gen-Editors sein, der nur in einer Art von Gewebe funktioniert. Oder wie vom Esvelt-Labor 2016 vorgeschlagen, könnten Gene-drive-Komponenten aufgeteilt und über ein Genom verstreut werden, so dass der Mechanismus nur lokal begrenzt wirkt und mit dem Voranschreiten der Generationen aus dem Genpool verschwindet – so ließe sich ein globaler gene drive vermeiden.

Schließlich werden Forscher mit der Entwicklung von kleinen Molekülen, Antikörpern oder anderen Mitteln zur Ausstattung von Organismen beauftragt, die damit auf molekularer Ebene gegen Gen-Editoren rebellieren können. Außerdem sollen Wege gefunden werden, um die vielversprechendsten dieser Inhibitoren zellulären oder tierischen Wirten zuzustellen – oral vielleicht, oder durch speziell dafür entwickelte Viren.

Um die Finanzierung durch das Safe-Genes-Programm beanspruchen zu können, müssen auf Gene-drive-Technologie fokussierte Forscherteams auch an deren Kontrolle und mindestens einem der anderen Schwerpunkte des Programms wie an möglichen Sanierungsmaßnahmen oder Inhibitoren arbeiten. Alle vom Programm unterstützten Projekte beginnen mit der mathematischen Modellierung und dem Testen in geschlossenen Systemen. Komplexität und Skalierung sollen nur dann erhöht werden, wenn aufgetretene Probleme in der weniger riskanten Umgebung behoben wurden.



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